Hohe Nitratwerte durch falsche Messstellenstruktur?

Hauptsächlich eine verschärfte Düngeverordnung ist Anlass für den aktuellen Ärger von Landwirten. Die Landwirtschaft sei nicht verantwortlich für die Nitratbelastung der Böden behaupten sie. Ist tatsächlich eine verfälschende Messstellenstruktur verantwortlich for überhohe Nitratwerte im Boden?

Fakt ist: Im Sommer 2018 hat die EU Deutschland wegen Verletzung der EU-Nitratrichtlinie verurteilt - und im Juli 2019 erneut angemahnt, das Urteil endlich umzusetzen.
„Es besteht für die deutschen Behörden dringender Handlungsbedarf. Die Wasserqualität in Deutschland zeigt keine Anzeichen für Besserung. Die Qualität des Grundwassers in Deutschland gehört zu den schlechtesten in Europa“, hatte EU-Umweltkommissar Karmenu Vella damals in Brüssel erklärt.

Da der Anteil der Messstellen, die eine Nitratbelastung in den Böden von über 50 mg/l (der europäische Grenzwert für Trinkwasser) ausweisen, mindestens seit 2008 immer noch bei rund 18 % liegt, drohen Deutschland gar Strafzahlungen. Um eine angepasste Düngeverordnung kommt Deutschland also nicht herum.

Eine Übersicht der Messstellen und die jeweiligen Messwerte sind beim Umweltministerium Niedersachsen (Umweltkarten ) hinterlegt.

Landwirte können sich nicht vollständig herausreden

Und: Nach den Berechnungen des Bundesumweltamtes ist die Landwirtschaft "der wichtigste Verursacher hoher Nitratkonzentrationen im Grundwasser".

Nach diesen Statistiken ist die Landwirtschaft an der Nitratbelastung der Oberflächengewässer mit 460 Gigagramm, die Konsumenten durch Abfall und Klärwasser mit 80 Gigagramm beteiligt. Industrie und Energiewirtschaft sind mit 40 Gigagramm an der Belastung der Grundwässer beteiligt. Dabei stagniert die Nitratüberschreitung seit 1991 kontinuierlich.

Bestätigt das also die Behauptung, dass die Landwirtschaft der Hauptverursacher der Nitratbelastung in Oberflächengewässern ist?

Die Bauern sagen Nein. Sie sind der Ansicht, dass eine ungerechte Verteilung der Messstellen verfälschte Ergebnisse liefert. Angeblich seien die Messstellen so angelegt, dass sie in der Nähe von Einträgen aus Klärwerken oder Industrie liegen - die daraus sich ergebenden Messwerte würden aber ausschließlich der Landwirtschaft zugerechnet.

Forderung: ein repräsentatives Messstellennetz aufbauen

Das Bundesumweltministerium hat sich im November 2019 mit den Vorwürfen auseinandergesetzt und auf seiner Website einen Artikel zum Thema "Nitratkonzentration im Grundwasser bestimmen" veröffentlicht. Darin heißt es u.a.: "...für die Nitrat-Berichterstattung (sind) diejenigen Messstellen ausgewählt worden, in deren Einzugsgebiet die Nutzungseinflüsse von Acker, Grünland und Sonderkulturen auf die Grundwassermessstellen dominieren." Nitratbelastungen durch undichte Kanäle seien zwar in urbanen Gebieten zu erwarten, nicht aber unter landwirtschaftlich genutzten Böden. Außerdem seien nur punktuell Einträge aus undichten Kanälen zu erwarten, die jedoch so punktuell seien, dass sie nicht maßgeblich für die Einstufung des Grundwasserkörpers in den schlechten Zustand nach Wasserrahmenrichtlinie sind.

Außerdem, so das BMU weiter, verfügten kommunale Kläranlagen in der Regel über eine Stickstoffelemination. Dabei sei der Stickstoffgehalt für die Einleitung in ein Gewässer auf 10 Milligramm pro Liter begrenzt. "Für die Auffassung, dass die Nitratbelastungen der Gewässer stärker oder zumindest zu gleichen Teilen durch Abwasser versursacht werden, gibt es keine fundierten Belege," so das Bundesumweltministerium.

Ernst-August Schulz, Leiter des Fachdienstes Wasserwirtschaft beim Landkreis Lüchow-Dannenberg teilt die Kritik der Landwirte: "Ein Grundwasserkörper wird insgesamt als 'rotes Gebiet' gekennzeichnet, wenn an einer Messstelle grenzüberschreitende Werte gefunden werden," so Schulz. Heißt z.B.:der gesamte Acker wird als Nitratbelastetes Gebiet gekennzeichnet, obwohl die Werte einige Meter weiter womöglich viel niedriger sind. Das hat etwas mit den Wegen zu tun, die das Oberflächenwasser auf seinem Weg zum nächsten Fluss nimmt. Auch Schulz ist der Ansicht, dass das Messstellennetz nicht so aufgebaut ist, dass es repräsentative Werte liefert. Das System der Messung von Oberflächen- und Grundgewässern sei ebenfalls nicht so angelegt, dass es aussagekräftige Ergebnisse liefert.

Diese Einschätzung wird auch von Eckhard Niemann, ehemaliger Sprecher der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirte, geteilt: " Im Gegensatz zu fast allen anderen EU-Ländern hat Deutschland kein repräsentatives Nitrat-Messnetz ausgewiesen und geschaffen – auch nicht einmal ansatzweise. Und dies trotz regelmäßiger Anmahnungen der EU-Kommission, für Ackerbauregionen repräsentative Daten zu liefern.," so Niemann. Durch die punktuellen Messungen seien der EU fälschlicherweise verheerende Nitratwerte in weiten Teilen Deutschlands gemeldet worden.

Landwirtschaft grundsätzlich umbauen - Verursacherprinzip beachten

Für Niemann ist klar: Das Ziel muss eine EU-weite Landwirtschaft sein, die weiterhin gegen Weltmarkt-Dumping geschützt bleibt und für den EU-Bedarf Klasse statt Masse erzeugt, "die wegen der Umwelt- und Tierwohl-Standards automatisch weniger erzeugt und deshalb auch weniger Belastungen für die Gewässer bringt."

Auch für die "Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirte" (AbL) ist "Optimum statt Maximum" die Leitlinie. "Das Bestreben von Bäuerinnen und Bauern ist neben einer guten Ernte der Erhalt und Aufbau eines fruchtbaren Bodens und einer intakten Umwelt sowie die Schonung von Ressourcen - nicht nur aus der Verantwortung gegen über diesen wichtigen Allgemeingütern heraus, sondern auch als eine zentrale Grundlage bäuerlichen, nachhaltigen Wirtschaftens," ist die AbL überzeugt. 

Im Zuge der Landwirtsproteste richteten die niedersächsischen Minister Olaf Lies (Umwelt) und Barbara Otte-Kienast (Landwirtschaft) an die Bundesregierung kürzlich die Forderung, dass sich die Ausweisung der „Roten Gebiete" stärker am Verursacherprinzip orientiert - statt sich auf Nitrat-Konzentrationen in den Grundwasser-Messstellen zu konzentrieren. "Das bedeutet, dass bereits an der Erdoberfläche angesetzt wird und in einem „Emissionsmodell" diejenigen Gebiete identifiziert werden, in denen die landwirtschaftliche Düngung zu überhöhten Nitratgehalten im Sickerwasser führt," heißt es in dem Schreiben. "Niedersachsen will damit frühzeitig Nitrateinträge in Sickerwasser aufgrund der aktuellen Flächenbewirtschaftung stoppen und nicht erst später auf zu hohe Nitrat-Konzentrationen im Grundwasser reagieren. Betriebe, die die Grenzwerte einhalten, sollen so von den strengeren Regeln (der Düngeverordnung) verschont bleiben."

Weder von der Bundesregierung noch von den protestierenden Landwirten gibt es dazu bisher eine Reaktion.

Unterdessen haben - nach Medienberichten - erste Bundesländer beschlossen, ihre Nitrat-Messstellennetze zu überprüfen und zu ergänzen. Zum Beispiel plant demnach Bayern die Zahl der derzeit 600 Messpunkte mehr als zu verdoppeln. Auch Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz wollen ihre Messstellennetze überprüfen und gegebenenfalls erweitern.

Vorbereitung für die Probenentnahme von Grundwasser, Oktober 2005 Wasserstandsfühler, Anschluss der Steigrohre an die Pumpe per Schlauch, Probenbehälter

Foto | kreidefossilien auf wikimedia.de : Eigenes Werk Urheber kreidefossilien.de  


2020-02-05 ; von Angelika Blank (text),
in Lüchow-Dannenberg, Deutschland

landwirtschaft  

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