Keiner hat einen Plan - unterdessen sterben die Eichen und leiden die Menschen

Eichen sterben jedes Jahr ein bisschen mehr, Menschen leiden unter Rötungen, Atembeschwerden oder allergischen Schocks. Die kleinen Eichenprozessionsspinner sorgen seit sieben Jahren für Ärger. Und regelmäßig versprechen Behörden und Ministerien "schnelle Lösungen" - die nicht kommen.

Noch sind die Eichenwälder im Gartower Raum nicht vollständig tot. Noch nicht. Aber seit mindestens sieben Jahren ächzen sie unter dem jährlich wiederkehrenden Angriff von Raupen des Eichenprozesionsspinners (EPS). Inzwischen sind rund 90 % der Eichen dort so schwer geschädigt, dass nur noch das Prinzip Hoffnung den Glauben an die Gesundung der Bäume nährt.

So wie Ulrich von Mirbach, Förster im Gräflich Bernstorffschen Forst. Seit mindestens drei Jahren propagiert er alljährlich die Hoffnung auf den heilenden Johannistrieb. Bis jetzt haben die tausende Eichen die EP-Fressattacken auch überstanden. Aber wie lange noch?

Wer dieses Frühjahr den Deich zwischen Holtorf und der Siedlung Elbholz abfährt, macht die erschreckende Erfahrung, dass rund 90 % der Eichen massiv geschädigt sind. Mickrige kleine Blättchen sind das Einzige, was die kahlgefressenen Äste noch bedeckt. Ähnlich sieht es auf der gesamten Allee zwischen Elbholz und Gartow aus: fast jede Eiche auf dem Weg ist so gut wie kahl.

Das Eichensterben ist allerdings nicht das einzige Problem, welches die kleinen Raupen verursachen. Nicht gezählte Menschen haben durch die Nesselhärchen gesundheitliche Probleme: von juckenden Rötungen bis hin zum allergischen Schock ist alles möglich. In Gartows Apotheke werden bereits seit April pro Monat rund 100 Packungen cortisonhaltiger Salben und Cremes verkauft. Regelmäßig berichten die KäuferInnen, dass sie sich in der Nähe von Eichenprozessionsspinnern aufgehalten haben.  

Inzwischen ist in den lokalen Verwaltungen beinahe schon Verzweiflung zu spüren. Alle - erlaubten - Bekämpfungsmaßnahmen der vergangenen Jahren haben nichts genutzt. Alljährlich bricht die EPS-Population wieder voll aus - und jedes Jahr ein bißchen mehr.

Nach dem allergischen Schock eines 8-jährigen Mädchens aus seiner Gemeinde, griff der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Seehausen, Rüdiger Kloth, zu einer spektakulären Maßnahme: er zeigte sich selbst an - "wegen Schädigung der Gesundheit der Bevölkerung".

Gartows Samtgemeinde-Bürgermeister Christian Järnecke will diesen Schritt noch nicht gehen, aber auch er ist hilflos. Seit Jahren bemüht er sich um eine Lösung des Problems, schreibt Briefe an Behörden und Ministerien, koordiniert Bekämpfungsmaßnahmen mit den vorhandenen, erlaubten Mitteln - und muss jedes Jahr aufs Neue erleben, wie die kleinen Raupen massenhaft die Eichen befallen und die Menschen leiden.

Behörden und Ministerien tauchen ab, geben die Zuständigkeit an jeweils andere Ämter und Institutionen weiter oder verweigern schlichtweg, über Lösungen nachzudenken.

WARUM GIBT ES KEINE LÖSUNGEN?

Die Problemlage ist komplex. Ein Grundproblem ist, dass die Bekämpfung nach zwei Kriterien beurteilt wird: Pflanzenschutz und Menschenschutz. Die Folge ist, dass Genehmigungen bzw. Zulassungen von Bekämpfungsmitteln und -methoden von verschiedenen Behörden nach unterschiedlichen Rechtsgrundlagen bewertet werden.

Für Dr. Pavel Plasil, Sachgebietsleiter "Schmetterlinge und Mäuse" in der Abteilung Waldschutz der Nordwestdeutschen forstlichen Versuchsanstalt (NW-FVA), ist das "Problem Eichenprozessionsspinner" deshalb ein politisches. "Es müssen endlich einheitliche Regeln geschaffen werden, die es ermöglichen, die Problematik ganzheitlich zu betrachten," so Dr. Plasil. Gesetzliche Grundlagen müssten her, die die bisher getrennte Bearbeitung beenden.

Außerdem gibt es massive Konflikte im Einsatz von Bekämpfungmitteln: solche, die der Pflanze helfen könnten, sind aus Gesundheits- oder Umweltgründen nicht zugelassen. Und Mittel, die Gesundheit und Gewässer schonen, helfen den Pflanzen kaum oder gar nicht.

Bisher gab es lediglich eine einzige Tagung - eingeladen vom Umweltbundesamt - auf der der Versuch gestartet worden war, alle Beteiligten an einen Tisch zu holen, um eine ganzheitliche Lösung zu finden. Doch der Versuch schlug fehl, wie aus Teilnehmerkreisen zu erfahren war.

Die Zuständigkeiten

Drei Ministerien sind mit der Thematik befasst: das Gesundheitsministerium wegen der gesundheitsschädlichen Wirkung, das Landwirtschaftsministerium wegen der Auswirkungen auf die Forstwirtschaft und das Umweltministerium wegen des umweltverträglichen Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln und des Walderhalts. 

Christan Järnecke hat aktuell die Erfahrung gemacht, dass die Ministerien sich die Verantwortung untereinander zuschieben. Auf die Gartower Resolution hat er vom Landwirtschaftsminiterium die Rückmeldung erhalten, dass das Gesundheitsministerium zuständig ist. In dem Brandbrief fordert der Samtgemeindeausschuss unter anderem, endlich die flächendeckende Besprühung aus der Luft zu genehmigen.

Doch der Samtgemeinderat weiß auch, dass die komplizierte Zuständigkeitslage eine schnelle Entscheidung nahezu unmöglich macht. Denn nach den oben genannten Ministerien sind folgende Behörden an der Zulassung von Mitteln bzw. der Genehmigung von Maßnahmen beteiligt (wobei die Aufzählung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt):

  • Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) muss die Mittel zulassen. Es arbeitet dabei mit drei Bewertungsbehörden zusammen: dem Bundesinstitut für Risikobewertung, dem Julius Kühn-Institut und dem Umweltbundesamt. Zuvor werden auf EU-Ebene die Wirkstoffe für Pflanzenschutzmittel bewertet und EU-weit zugelassen. Das BVL setzt diese Vorgaben dann in nationales Recht um.
  • Die Landwirtschaftskammer muss den Einsatz geeigneter chemischer Bekämpfungsmittel genehmigen. Ebenso muss sie genehmigen, wie das Mittel aufgebracht wird.
  • Das Gesundheitsamt des Landkreises muss prüfen, inwieweit vom Einsatz des Bekämpfungsmittels gesundheitliche Folgen zu erwarten sind.
  • Die Untere Naturschutzbehörde sowie die Waldbehörde des Landkreises muss prüfen, ob die Bekämpfungsmaßnahmen Auswirkungen auf die Umwelt und den sonstigen Waldbestand haben.


Die Bekämpfungsmittel

Das bisher am meisten eingesetzte biologische Bekämpfungsmittel Dipel ES hat zwar noch eine Zulassung bis zum Jahr 2021 - wurde vom Hersteller vom Markt genommen, weil er die Wirksamkeit nicht mehr gewährleisten kann. Nach Informationen von Dr. Pavel Plasil, sind zwei Wirkstoffe nicht mehr erhältlich, die Dipel ES zu einem effektiven Mittel gemacht hatten.

Weitaus schädlicher für Vogel- und anderer Falterarten ist das ebenfalls häufig eingesetzte chemische Pflanzenschutzmittel Karat Forst flüssig - weshalb Naturschützer den Einsatz grundsätzlich ablehnen. Karat gilt aber als effektives Bekämpfungsmittel. Will man dieses Mittel einsetzen, so drängt außerdem die Zeit. Nächstes Jahr läuft die Zulassung aus.  

"Grundsätzlich haben die eingesetzten Mittel eine Wirksamkeit von 60 bis 80 %," so Pavel Plasil. "Und wenn 20 % der Population übrig bleiben, dann ist das genug, um sie aufrecht zu erhalten."

Allgemein gilt bei den Genehmigungsbehörden das Grundprinzip, dass eine chemische Bekämpfung erst bei existenzieller Gefahr des Waldes als allerletzte Möglichkeit eingesetzt wird. Aber eine Waldgefährderung sieht die NW-FVA nicht. „Der Befall durch Eichenprozessionsspinner ist mehr ein Problem der freistehenden Eichen bzw. derer am Waldrand," so Plasil. Diese sind für den Waldbestand selber meist nicht relevant.

Diese Randlage bringt das nächste Problem mit sich: Waldränder liegen oft in der Nähe von Siedlungen oder an Gewässern. Sowohl für Siedlungen als auch für Gewässer gibt es Abstandsregelungen, die bei der Bekämpfung eingehalten werden müssen. Weswegen Bekämpfungen per Hubschrauber nur in besonderen Ausnahmefällen genehmigt werden.

Beispiel: Die gräflich Bernstorffschen Betriebe hatten zuletzt im Jahre 2010 eine Genehmigung bekommen, per Hubschrauber zu bekämpfen. Danach wurden mehrfach Anträge immer wieder negativ beschieden.

Die Konflikte

Naturschützer lehnen Bekämpfungsmaßnahmeab.nmit einem Pflanzenschutzmittel - ob biologisch oder chemisch - ab. Sie würden alle auch andere Vögel oder Insekten schädigen, ist das Argument. Manche plädieren für mechanische Verfahren wie das Absaugen. Andere Naturschützer sind da zögerlicher und ahnen, dass das Absaugen bei großen Bäumen gar nicht möglich sein wird. Aber auch sie haben keine Lösung parat.

Den Betroffenen ist es teilweise inzwischen egal, ob das Bekämpfungsmittel gesundheitliche Auswirkungen hat. Vergangenes Jahr protestierten verzweifelte Anwohner aus Gartow und Umland vor dem Rathaus für eine intensive Bekämpfung. "In anderen Städten wurde doch auch über den Häusern gesprüht, warum nicht bei uns?" fragten Betroffene, die unter Atemleiden, juckenden Ausschlägen oder Schlimmeren zu leiden hatten.

Wald- und Forstbesitzer fürchten längst, große Teile ihrer Eichenbestände zu verlieren. Ulrich von Mirbach geht von rund tausend Eichen aus, die allein in seinem Revier stark gefährdet sind. Und: Eichen lassen sich dort, wo bereits Eichen wachsen, kaum nachpflanzen. "Viele der Anpflanzversuche, die wir gestartet haben, sind gescheitert", so von Mirbach. "Teils sind sie nicht angewachsen, teils sind die jungen Bäumchen auch von Eichenprozessionsspinnern kahlgefressen worden."

Passiert überhaupt irgend etwas?

  • Immer mehr Kommunen beschweren sich vehement über das mangelnde Engagement bei Behörden und Ministerien, nach einer Lösung zu suchen. Antworten stehen noch aus. 
  • Die NW-FVA kartiert derzeit die Populationen des Eichenprozessionsspinners.
  • Im Gartower Raum ist ein EPS-Zuchtstamm installiert, von dem regelmäßig Proben genommen werden, um zu überprüfen, welche Parasiten es in die Puppe hinein geschafft haben und wie sie dort wirken. In einem nächsten Projekt soll dann untersucht werden, ob und welche Parasiten sich eignen, gegen die Eichenprozessionsspinner eingesetzt zu werden.
  • seit 2017 wird eine biologische Bekämpfungsmethode gegen den Kiefernspinner mittels Nematoden erarbeitet; die Forscher hoffen, dass die Nematoden auch erfolgreich gegen den Eichenprozessionsspinner eingesetzt werden können. Derzeit ist allerdings noch nicht geklärt, wie die Nematoden auf die Haut gelangen können, da die dichten Nesselhärchen das Durchdringen verhindern.
"Eine grundsätzliche Lösung des Problems ist derzeit nicht in Sicht," dämpft Pavel Plasil deshalb Hoffnungen, dass kurzfristig Mittel oder Verfahren zur Verfügung stehen, die allen Ansprüchen (Pflanzen-, Menschen- und Naturschutz) gerecht werden.

Bis dahin werden Gemeinden und Privatunternehmen lokal gegen die kleinen Raupen angehen müssen, soweit es ihnen möglich ist. Pavel Plasil gibt aber zu bedenken: "Durch die alljährliche Bekämpfung werden auch Organismen geschädigt, die man gar nicht beschädigen will." Deswegen hält er es für besser, einmal gründlich mit einem effektiven Mittel wie Karat zu arbeiten, um längerfristige Erfolge zu erzielen. 

Pavel erinnert auch daran, dass Gartow bei weitem nicht das einzige Gebiet ist, in dem es größere Probleme mit dem Eichenprozessionsspinner gibt. "Im Moment gibt es drei Gebiete, in denen der Eichenprozessionsspinner besonders aktiv ist - Nord-Sachsen-Anhalt, Brandenburg, im Süden sowie in Nordrhein-Westfalen bis zur holländischen Grenze." Diese Population würden sich langsam ausweiten und aufeinander zu wachsen.

Wie lange der Zuwachs noch anhalten wird, kann derzeit niemand sagen. In Baden-Württemberg wird nach Aussagen von Dr. Plasil ein Programm vorbereitet, mit dem Prognosen über die Populationsentwicklung möglich werden sollen.

Was bleibt, ist Ratlosigkeit bei den Verantwortlichen vor Ort bis hin zur Verzweiflung bei den denjenigen, die alljährlich mit den gesundheitlichen oder wirtschaftlichen Folgen zu kämpfen haben. Zur Erinnerung: bereits vor fünf Jahren wurden auf einem Krisentreffen im Gartower Wald "schnelle Lösungen" versprochen.

Wer sich noch einmal kompakt über Daten, Fakten und Probleme rings um den Eichenprozessionsspinner informieren will, kann das hier! in einem Vortrag vom Umweltbundesamt tun.

Einen Überblick über das Eichenprozessionsspinner-Geschehen in Lüchow-Dannenberg gibt es im wendland-net-Dossier.

Foto | Angelika Blank: So wie hier am Deich zwischen Holtorf und der Siedlung Elbholz (rund 3 km) sieht es an einigen Straßen und Wegen im Raum Gartow aus. Rund 90 % der Eichen sind schwer geschädigt.









Fotos

2018-06-28 ; von Angelika Blank (text),
in Holtorf, 29493 Schnackenburg, Deutschland

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