Was war, was blieb - ein Rückblick auf das vergangene Jahrzehnt

Ein Jahrzehnt geht zu Ende. Ein Jahrzehnt voller Natur- und Umweltphänomene und Weichenstellungen in Regionalpolitik und Endlagerfrage. Viel Skepsis, viele Befürchtungen, viel Streit - aber auch Entscheidungen, die Auswirkungen in die Zukunft haben.

Naturkatastrophen, immer mehr Wölfe in den Wäldern aber auch das Ende der Erkundung im Salzstock von Gorleben und der Start des Glasfaserausbaus prägten das Jahrzehnt. Nicht zuletzt sorgten zahlreiche Geflüchtete für eine Welle der Hilfsbereitschaft.

Vieles ist in Bewegung geraten, vieles noch nicht zu Ende gebracht. Wieviel von den vergangenen Geschehnissen noch in die Zukunft wirkt, wird sich zeigen.

HOCHWASSER

Mehrfach sorgten Elbehochwasser für massive Überschwemmungen. Wassermassen ergossen sich in zahlreiche Dörfer und sorgten für zahlreiche Schäden. Und jedes Mal musste das Wort "Jahrhunderthochwasser" neu definiert werden. Mitten im Winter traf es im Januar 2011 die Region. Und im Juni 2013 stieg das Wasser so hoch, dass in Vietze rund ein Drittel des Dorfes evakuiert werden mussste.

Eine Welle der Hilfsbereitschaft erreichte das Wendland. Feuerwehr- und THW-Leute aus der ganzen Republik halfen beim Aufbau von Schutzwällen - und die Spenden erreichten sechsstellige Höhen.

Die Erkenntnis wuchs, dass Hochwasserschutzmaßnahmen nur länderübergreifend eingeleitet werden können. Staatsverträge und Verabredungen über konkrete Maßnahmen im Hochwasserfall zwischen mehreren Bundesländern folgten. Und das Land stellte Millionenbeträge bereit, um Deiche und Hochwasserschutzmaßnahmen verbessern zu können.

2017 legte der Niedersächsische Landesbetrieb dann einen Rahmenplan für „Abflussverbessernde Maßnahmen an der Unteren Mittelelbe“ vor. Einzelprojekte wie das großflächige Abholzen längs der Elbe (was zu erbitterten Auseinandersetzungen mit Naturschützern geführt hatte) sollen demnach nur noch nach Prüfung und Umsetzung ganzheitlicher Maßnahmen durchgfeführt werden.

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CASTORTRANSPORTE/ENDLAGER

2011 rollte der bisher letzte Transport mit hochradioaktivem Abfall in das Zwischenlager Gorleben. Mit 92 Stunden war es auch der längste "Castor", wie es in Widerstandskreisen hieß. Landwirte hatten systematisch für eine Blockade zahlreicher Verbindungsstraßen gesorgt, so dass selbst Versorgung und Schichtwechsel bei der Polizei nicht mehr funktionierten.

Nach dem Transport wurde bekannt, dass Polizisten aus Frankreich, Polen und Kroatien am aktiven Einsatz beteiligt waren.

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2011 jährte sich der GAU von Tschernobyl zum 25. Mal. Dieses traurige "Jubiläum" nahm der Westwendische Kunstverein zum Anlass für eine dreiteilige Ausstellungsreihe. "chernobyl 25" untersuchte nicht nur die technikgläubige Hybris der Sowjetunion sondern bot auch tiefe Einblicke in die jahrtausende alte Kultur der Region "Polissye", die seit dem GAU als immer noch radioaktiv verseuchte und unbewohnbare Zone gilt.   

Das über die Erkundung im Salzstock Gorleben verhängte Moratorium wurde zwar zum 1. 10. 2010 aufgehoben, aber im Sommer 2013 wurde die Erkundung (vorerst) vollständig eingestellt. Die bisher aufgefahrenen Schächte wurden verschlossen und ein reiner "Offenhaltungsbetrieb" organisiert.

Im Juli 2013 trat das Standortauswahlgesetz – (StandAG) in Kraft. Im Zuge eines "Neubeginns der Endlagersuche" sollte die Standortsuche nach einem Endlager auf einer "weißen Landkarte" beginnen. Da der Salzstock Gorleben aber nicht aus dem Verfahren genommen wurde, bezweifeln Gorlebengegner bis heute, dass es keine Vorfestlegungen gibt.

Im Zuge des neuen Endlagersuchverfahrens gaben die Energieunternehmen den Betrieb der Zwischenlager ab. Ein System aus bundeseigenen Gesellschaften übernahm Aufsicht und Betrieb der Zwischenlager, Verfahrenssteuerung zur Endlagersuche sowie Aufsicht und Betrieb von späteren Endlagern.

Die Diskussionen um ein "Endlager Gorleben" sind längst nicht zu Ende. Im Herbst 2020 soll ein Zwischenbericht präsentiert werden, der die Ergebnisse des Abgleichs der Mindestanforderungen für verschiedene Standorte vorstellt. Ob der Standort Gorleben diese erste „Qualitätsprüfung“ übersteht ist wahrscheinlich aber längst nicht sicher.


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MIGRATION

November 2015: in Budapest sitzen tausende Flüchtlinge fest und drohen, im nahenden Winter zu erfrieren. Deutschland nimmt aus humanitären Gründen rund 750 000 Flüchtlinge auf. "Wir schaffen das" kommentiert Bundeskanzlerin Merkel die Kritik vor allem ihrer Parteigenossen.

In Lüchow-Dannenberg werden drei Notaufnahmelager eingerichtet, in denen sich zeitweise rund 1500 Menschen aufhalten. Die ersten Ankömmlinge werden in Lüchow mit Luftballons, Klatschen und guten Wünschen begrüßt. Netzwerkgruppen "Asyl" gründen sich, zahlreiche ehrenamtliche Helfer kümmern sich um Geflüchtete in ihren Dörfern.

Da die Außenstellen des Bundesamtes für Migration mit der Flut der Anträge überfordert sind, wird die Einrichtung einer Außenstelle des BAMF in den ehemaligen Kasernen in Neu Tramm diskutiert. Die Verhandlungen ziehen sich über Monate hin, doch letztendlich ziehen sich Bund und Land aus dem Projekt wieder zurück, weil der Eigentümer zu hoch pokerte und "horrend hohe" finanzielle Forderungen erhob.

2016/2017 waren die meisten Asylanträge bearbeitet und die zugelassenen Asylbewerber verließen zum Großteil den Landkreis wieder. Seitdem kommen nur noch vereinzelt Geflüchtete im Landkreis an. Begegnungs- und Beratungsräume (Café Zuflucht) bestehen in Lüchow und in Dannenberg aber weiterhin.

Mehr zum Thema Flüchtlinge/Migration: https://wendland-net.de/thema/flüchtlinge und https://wendland-net.de/thema/migration 


REGIONALENTWICKLUNG

Ohne flächendeckend verfügbares schnelles Internet dürfte die wirtschaftliche Zukunft des Landkreises düster aussehen. So sahen es auch die Kommunalpolitiker und starteten das größte und wohl wichtigste Projekt der Regionalentwicklung: den Aufbau eines Glasfasernetzes. Nach Fertiggstellung (geplant für Mai 2020) sollen rund 95 % der wendländischen Haushalte mit schnellem Internet versorgt sein.
Bereits 2008 verkündeten Bund und Land, dass sie Millionenbeträge für den Ausbau einer digitalen Infrastruktur bereitstellen würden. Es sollte aber noch 10 Jahre dauern, bis im Oktober 2018 in Zernien der Spatenstich für den Beginn der Arbeiten am Glasfasernetz gesetzt werden konnte. Vorausgegangen waren Online-Befragungen, kontroverse Diskussionen im Kreistag und schwierige Finanzierungsverhandlungen.

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Im Bereich der Finanzen konnte der Kreistag 2012 erstmals einen Haushalt verabschieden, der ohne Neuverschuldung auskam - dank (u.a.) der Aufstellung von 15 zusätzlichen Geschwindigkeitsmessanlagen (Blitzer), die ein Haushaltslücke von rund 600 000 Euro abdecken sollten. "Milchmädchenrechnung" schimpften damals die Kritiker. Doch bis heute funktioniert das Konzept. Die Konjunkturlage besserte sich, so dass im Dezember 2016 der Landkreis im Wirtschaftsvergleich deutscher Städte und Landkreise rund 40 Plätze nach oben geklettert war. 

2017 wurden im "Alten Postamt"  verschiedene Projekte der Regionalentwicklung wie die Willkommensagentur, das Wendlandlabor und andere installiert. Sie sollen bis heute für Zuzug junger Familien und Fachkräfte sorgen. Auch die Klimaschutzleitstelle fand dort ihr Zuhause.

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In Sachen Regionalvermarktung gibts bis heute Uneinigkeit. Nachdem sich die touristischen Anbieter und Aktiven nicht auf gemeinsame Konzepte der Außenwerbung einigen konnten, wurde die bisherige Marketinggesellschaft EWT im Jahr 2015 aufgelöst. An ihre Stelle trag die Compass GmbH, die seitdem für eine bessere Außenwirkung - und damit für mehr Gäste - sorgen soll. Doch auch ihre Arbeit ist umstritten.

Mehr dazu: https://wendland-net.de/post/regionalvermarktung-wohin-geht-die-reise-56061

ENERGIE


2013 - In Dannenberg wird ein Teil des Stromnetzes von der Kommune übernommen. Seitdem betreibt die "EVE", ein Tochterunternehmen des Wasserverbands Dannenberg-Hitzacker. als kommunale Anstalt des öffentlichen Rechts.  Bis heute sind es allerdings nur wenige Gemeinden, die dem Beispiel Dannenbergs folgten und sich in das Stromnetz-Besitzer-Netzwerk einreihten. Die EVE erzeugt außerdem Strom aus regenerativen Quellen und verzichtet auf Kohle- und Atomstrom. Seit 2011 versorgt sich das Wendland zu 100 % mit Strom aus hiesigen Quellen.

Der Widerstand gegen Windkraftanlagen verstärkt sich. "Unten die Castoren oben die Rotoren" ist auf Transparenten zu lesen, die in Kreistagssitzungen hochgehalten werden. Teilweise sind es Atomkraftgegner und Befürworter der Nutzung erneuerbarer Energien, die gegen Windkraft- und/oder Biogasanlagen protestieren.

Mehr zum Thema Windkraft: https://wendland-net.de/thema/windkraft

NATUR/UMWELT

Wolf und Wildkatze sind in den Landkreis zurückgekehrt. Besonders viel Aufregung gibt es seit dem ersten Auftreten im Gartower Forst über die Rückkehr der Wölfe. Aktuell sind es 30 bis 40 Wölfe, die in der Region leben - vor allem in der Göhrde und in den Gartower Forsten. Risse von Nutztieren nahmen zu, die Angst in der Bevölkerung wuchs. Diskussionen darüber, wem die Wälder gehören, kamen auf.

Das Wolfsmanagement des Landes inklusive Fördergeldern für Schutzmaßnahmen kosten das Land Niedersachsen aktuell jährlich rund 1 Million Euro. Aber es gibt auch zahlreich Wolfsfreunde, die die Rückkehr des Wildtiers freudig begrüßen. Immer wieder gibt es intensive Diskussionen, wenn ein "auffälliger" Wolf zum Abschuss freigegeben wird. Der erste war "Problemwolf" Kurti, der im April 2016 nach erfolglosen Vergrämungsversuchen "entnommen" wurde, wie es in der Amtssprache heißt. 

Mehr zum Thema Wolf: https://wendland-net.de/thema/wolf

Borkenkäfer, Eichenprozessionsspinner (EPS) und aktuell eine Mäuseplage machen der Flora in der Region zu schaffen. Für die Ausbreitung der Schadinsekten werden anhaltende Trockenheit und Hitze verantwortlich gemacht.

Bekämpfungsmaßnahmen sind schwierig zu realisieren, so dass vor allem wegen des Borkenkäfers tausende Fichten gefällt werden mussten. Im Gartower Raum sind es vor allem Eichen, die unter den Raupen des EPS leiden. Es ist bis heute immer noch nicht absehbar, wieviele Eichen letztendlich den Kampf Schädlingen verlieren werden. Alljährlich hoffen die Förster auf einen Niedergang der EPS-Population. Doch inzwischen sind es bereits über 10 Jahre, in denen die Raupen alljährlich wieder auftauchen.

Mehr dazu: https://wendland-net.de/thema/eichenprozessionsspinner

WETTER

Während aktuell über Rekordwärme und Trockenheit als deutliche Anzeichen des Klimawandels ausgemacht werden, waren es Anfang des Jahrzehnts eher langanhaltende Winter mit Temperaturen unter 10 Grad und wiederkehrende starke Stürme. Die Folgen des letzten Sturms " Xavier" - zahlreiche umgestürzte Bäume in den Wäldern -sind teilweise bis heute nicht beseitigt. Es war einfach zuviel.

So begann das Jahr 2010 mit starken Schneefällen, die so massiv waren, dass im Landkreis das Streusalz ausging. Nachschub war schwierig zu beschaffen. Im Februar 2012 wurde die Elbe bis runter nach Geesthacht wegen zu starken Eisgangs gesperrt. Es herrschte zwar kein Hochwasser, aber 20 cm dicke treibende Eisschollen machten den Deichschützern Sorgen.

Dezember 2013, Januar 2015, März 2015, Januar 2017, Oktober 2017 - immer wieder suchen starke Stürme die Region heim. 2018 Bevor im April Temperaturen über 20 Grad Ostern zu einem Sommerfest machten, hielt die winterliche Kälte bis zum März an. Hungrige Nutrias machten Elbspaziergänge vor allem für Hunde lebensgefährlich. Bei tagsüber unter - 10 Grad rutschte im März eine Hundehalterin in die Elbe und ertrank. Vermutlich wollte sie einen ihrer Hunde retten. Erst vier Wochen später wurde ihr Leichnam bei Alt Garge aus dem Wasser gezogen.

2018 und 2019 wurden zu den trockensten Jahren der letzten Dekade. Die Elbe führte monatelang Rekord-Niedrigwasser. Tiere fanden kaum noch Futter, Landwirte verloren große Teile ihrer Ernte aber auch Gartenbesitzer hatten Mühe, ihre Gärten zu bewässern.

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UND DAS AUCH NOCH

April 2010: Die Dömitzer Brücke wird für 305 000 Euro an einen holländischen Geschäftsmann versteigert. 2018 begann dann mit Fördergeldern die Sanierung der Brückenköpfe. Nächstes Ziel ist die Begehbarkeit der Brückenreste.

Im September 2014 besucht die ehemalige Königin Beatrix besuchte Hitzacker, die Heimatstadt ihres verstorbenen Ehemanns Claus  

Sieben Jahre lang wurde über den Bau einer Brücke über die Elbe bei Neu Darchau diskutiert, bis der Kreistag in Lüneburg das Projekt im Juli 2015 wegen zu hoher Kosten beerdigte. 

Fotos: Gerhard Ziegler / Angelika Blank / Andreas Conradt /










Fotos

2019-12-30 ; von Angelika Blank (text),
in Lüchow-Dannenberg, Deutschland

jahresrückblick  

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